Alexander

Zwei Tage vor unserem 27. Geburtstag sind wir, mein Zwillingsbruder und ich, sowie ein gemeinsamer Freund abends nach Hamburg gefahren, um dort für eine Musikveranstaltung mehrere Karten zu besorgen. Da sich der Kartenverkauf bis spät in die Nacht hinein verzögerte, konnten wir erst in den frühen Morgenstunden uns auf den Heimweg machen. Auf halber Strecke kam unser Wagen von der Autobahn ab, weil der Fahrer in einen Sekundenschlaf viel. Der Pkw fuhr ungebremst gegen einen Baum und ging sofort in Flammen auf. Während der Fahrer sich selbst und mich befreien konnte, war für meinen Bruder jegliche Hilfe vergeblich. Wir mussten zusehen wie er im Auto verblieb und verbrannte. Nach der Erstversorgung vor Ort wurde ich in ein nahegelegenes Krankenhaus in Neumünster gebracht. Dort wurde in einer Notoperation mein Beckenbruch stabilisiert und innere Blutungen gestoppt. Noch am selben Tag wurde ich zur Versorgung der Brandwunden in das Schwerbrandverletztenzentrum nach Hamburg verlegt. Ich selbst erlitt zweit- und drittgradige Verbrennungen von 38 % der Körperoberfläche. Der Fahrer des Fahrzeuges blieb weitestgehend unverletzt, hatte jedoch an der schweren Bürde der Schuld zu tragen, zumal es kein Fremdverschulden gab. Die intensivmedizinische Behandlung, bei der ich u. a. in ein künstliches Koma versetzt wurde, dauerte etwa sechs Wochen. Nach weiteren OPs auf der Brandverletztenstation wurde ich nach insgesamt rund sechs Monaten nach Hause entlassen.

Mir war bewußt, dass eine schwere Zeit vor mir lag, aber ich wußte nicht, ob ich das aushalten konnte. Eigentlich wollte ich nicht mehr und mein Gefühl sagte mir: „Es ist zu viel!“ Hätte ich den starken Rückhalt meiner Familie und meiner Freunde nicht gehabt, so hätte ich diese Zeit nicht überstanden. Ich hatte jeglichen Lebensmut verloren, Freude konnte ich über Jahre nicht empfinden, stattdessen überwog eine traurige Grundstimmung aus der heraus ich keine Pläne für die Zukunft gestalten konnte, geschweige denn daran aktiv zu arbeiten. Trotz vieler Rückschritte habe ich es allmählich geschafft aus dem Tal heraus zu kommen. Der erste Schritt war vielleicht schon im Krankenhaus das Zugehen auf den Unfallverursacher; ich hatte ihm verziehen und bis heute habe ich ihm keine Vorwürfe gemacht. Kontakt halten wir zwar nicht mehr, dass liegt aber weniger am Unfall als vielmehr an unseren unterschiedlichen Lebenswegen.

Heute liegt der Unfall lange zurück und ich habe viele Jahre gebraucht, um das Geschehene hinter mir zu lassen. Ich habe anfangs nicht gedacht, dass es einen Weg gibt damit zu leben. Die Veränderungen waren so tiefgreifend und der Verlust so groß, dass ich die Unfallfolgen nur allmählich annehmen konnte. Meinen Alltag kann ich mittlerweile bestreiten, ohne dass ich von negativen Gefühlen überwältigt werde. Die Brandverletzung und das Trauma bleiben immer ein Teil von mir, doch diese Grenzerfahrungen helfen mir auch bewußter zu leben.

Die Zeit heilt alle Wunden – aber die Narben bleiben.

Alexander

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