Wenn Körper und Seele Feuer fangen…

Er brennt für seine Sache – Sie ist Feuer und Flamme – Für Dich lege ich meine Hand ins Feuer. Redewendungen, die im Umgang mit Brandverletzten ihren tiefen Sinn offenbaren:

Er wollte ein Leuchtfeuer sein. Aus Protest gegen seine Regierung hat er sich auf der Straße angezündet. Nun liegt er mit über 50 % verbrannter Körperoberfläche seit Wochen auf der Intensivstation…
Die junge Frau wollte sich nur spüren, sich ihres Körpers vergewissern können, den brennenden seelischen Schmerz durch jahrelange Misshandlungen mit Hilfe körperlicher Schmerzen verdrängen. Da hat sie das Feuerzeug an ihren Arm gehalten…
Die Mutter, die ihren Sohn aus dem brennenden Haus retten wollte. Ihr sind nicht nur beide Hände, sondern auch Arme und Gesicht so schwer verbrannt, dass alles transplantiert werden musste. Sie ist eine andere als früher…

Prostest, Suizid, Rettungsversuch, Hilfeschrei, Unfall zuhause oder auf der Arbeit – Menschen brennen und verbrennen aus so vielerlei Gründen wie sie unterschiedliche Individuen sind.
Ist es Schicksal, Strafe, Prüfung, Unfall, einfach passiert, jeder Sinnhaftigkeit enthoben? Fragen, die jeder Brandverletzte sich stellt. Antworten – gar schnelle oder allgemein gültige – gibt es oftmals nicht.

„Aber wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken!“ (Ps 139,17), stimmt der, der glaubt, in das Gebet des Psalmisten mit ein. Er hat seinen Gott als Klagemauer. Doch viele meiner Patienten glauben nicht. Was hilft ihnen? Auch sie benötigen ein Gegenüber, das einfach da ist, das Zeit hat, zuhört, ihren Gefühlen und Gedanken Raum und Ausdruck gibt.

Körper und Seele brauchen viel Zeit und Zuwendung, um die Traumatisierung zu überwinden, um heilen zu können. Hier gilt für Patienten und Angehörige ebenso wie für das Behandlerteam:
Mut haben, den Dingen die eigene, stille ungestörte Entwicklung lassen, die tief von innen kommt und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann.
Geduld haben mit dem Ungelösten im Herzen, und versuchen, die Fragen selbst lieb zu haben wie Bücher, die in einer fremden Sprache geschrieben sind. Es handelt sich darum, alles zu leben. Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antworten hinein (Rilke).

Ist es möglich, diese Entwicklung zu beschreiben? Was geschieht mit einem Menschen, wenn seine Haut verbrennt? Wird er je wieder heil? Und wenn ja, wie?

Erst wenn sie verletzt ist, wird das sonst Selbstverständliche offenbar: die Haut ist unser sensibelstes Körperorgan. Als Wahrnehmungsorgan und als Grenze zwischen dem Individuum und seiner Umwelt ist sie immens wichtig. Sie dient dem Schutz als auch dem Kontakt mit der Welt. Bereits im Mutterleib ist die Haut von grundlegender Bedeutung für Entwicklung und Identität. Durch eine Verbrennung wird sie verletzt und kann ihre mit der Seele im Zusammenhang stehenden Funktionen nur eingeschränkt erfüllen. Die psychische Schutzhülle ist angegriffen. Der Mensch wird nicht nur dünnhäutig. Er ist bar der Haut und braucht eine Ersatzhülle, um sich zu schützen. Gelingt es eine Haut aus Worten zu bilden, wenn auf Berühren verzichtet werden muss, dann kann der Schmerz durch Zartheit des Gesprächs gelindert werden.

Doch den Schmerz des anderen können wir nicht spüren. Wir versuchen uns einzufühlen und bleiben trotzdem ahnungslos. Das Leiden des anderen lässt sich nicht beschreiben. Jeder steht dem Schmerz allein gegenüber. „Er nimmt den gesamten Raum ein, und ich existiere nicht mehr als Ich: der Schmerz existiert“ (Anxieu).

Umso wichtiger ist neben aller somatischen Hilfe ein behutsamer Umgang mit der verbliebenen Haut, der Wort-Haut. Worte können ebenso wie Feuer Menschen lichterloh brennen lassen. „Falscher Trost ist oft sehr verletzend“, sagt die Mutter eines zu 50% verbrannten Mädchens. „Etwa wenn die Leute sagen: Äußere Schönheit ist nicht alles“. Das ist zynisch. Und auch wenn Hiob nach all’ seinem Leid noch mal Kinder bekam, es bleibt schrecklich. Kinder sind nicht ersetzbar! Das Leid der Menschen, wer soll es begreifen? Auch wer an Gott glaubt, wird letztlich schweigen. Er-klärungen und Rat verletzen oft eher, als dass sie heilen. Eines allerdings hilft: solidarischer Trost im Mit-sein, im Mit-denken und Mit-schweigen.

Nein, die Zeit heilt nicht alle Wunden. Es bilden sich Narben, die wuchern und schmerzen können – lebenslänglich, die wieder und wieder operiert werden müssen. Lernen, liebevoll auf diese Narben zu schauen, sie als Teil des alten-neuen Ichs zu integrieren, ist Aufgabe jedes Brandverletzten. Denn das Leben geht weiter, wenn auch anders als vor der Brandverletzung – es geht weiter und möchte gelebt sein.

Thomas Büchi, als Kleinkind schwer verbrüht, beantwortet die Frage nach dem “Warum?” nachdenklich mit großem Lebensmut im Gespräch über seinen Song “My Fields’”: „Wenn man seinem Leben mit Ehrlichkeit entgegentritt, dann ist da immer auch Schmerz… In der Schwäche liegt der Schlüssel des Lebens. Zeig dich, wie du bist, und du bist dir am nächsten. Einfach ist es nicht, dem Leben stets aufrecht und ehrlich entgegenzutreten – eine Lebensaufgabe… Es geht um eine lebenslange Suche, eine Hoffnung… die Zeit auf Erden gut zu machen… dem Leben einen Sinn zugeben… “My Fields’” ist die Aufforderung, sich selbst anzunehmen… Gefühle zu zeigen und diese den Mitmenschen zu kommunizieren… In Ehrlichkeit verbirgt sich die Bedrohung der eigenen Existenz… Doch sind es nicht gerade diese Gefühle, die uns dem Leben auf authentische Weise näherbringen… Dank dem Himmel sehe ich die Hölle. Dank dem Tod verstehe ich zu leben“.

Dr. Christina Urban, Pastorin am BG Klinikum Hamburg

Veränderte Fassung der Ersterscheinung des Textes in: Frohe Botschaft, 10/13.

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