Ulrike – Urlaub in Dänemark

Als ich jünger war, habe ich mir immer ausgemahlt, wie es wohl wäre, wenn mir eine gute Fee drei meiner menschlichsten Wünsche erfüllen könnte. Mit 18 Jahren ist wohl jedem Mädchen sein Aussehen sehr wichtig, das war auch bei mir nicht anders.

Bei den drei möglichen Wünschen hätte ich damals ganz sicher mein Aussehen korrigieren wollen. Meine Nase erschien mir zu groß, meine Haare zu dünn und bedingt durch meine blonden Haare empfand ich es als echten Makel, niemals so wunderbar sonnengebräunt wie meine Freundinnen auszusehen.All diese Wünsche hatte ich bis zum Sommer 1986 als ein Unfall nicht nur meine jugendlichen naiven Träume, sondern auch meinen bis dahin unbeschwerten Urlaub mit meinem damaligen Freund abrupt beendete.Zu dieser Zeit befanden wir uns beide noch in der Ausbildung, aus diesem Grund entschieden wir uns für einen Campingurlaub und starteten nach Dänemark, wo Freunde von uns sich ein Ferienhaus gemietet hatten.Im nachhinein denke ich, das es eine wohlmeinende Fügung war, die uns in dieses Land brachte, wo zum damaligen Zeitpunkt die Behandlung von Verbrennungen so vorbildlich praktiziert wurde. Wir hatten geplant, 14 Tage in Dänemark zu bleiben und die erste Woche richteten wir unser Zelt wohnlich ein, badeten im Meer, sonnten uns am Strand, besuchten die örtliche Diskothek, kurzum es ging uns richtig gut.

Der Tag, an dem es passierte, war ein Freitag, mein Freund und ich faulenzten auf dem Campingplatz, erst am nächsten Nachmittag hatten wir mit unseren Freunden ein Treffen vereinbart. Es geschah ohne Vorwarnung, wie bei Unfällen und Ereignissen, die dein ganzes Leben verändern, wohl so üblich. Unser Zelt war verhältnismäßig groß und hatte so eine Art separates Innenzelt, in dem wir schliefen. Vor unserem Innenzelt kochten wir, ich saß mit dem Rücken zur geschlossenen Zeltwand und mein Freund saß mir gegenüber mit dem Rücken zum Ausgang des Zeltes. Zwischen uns stand der Gaskocher. Auf einmal gab es eine, wie mir schien eine riesige Stichflamme, die mich einhüllte. Ich spürte keinen Schmerz, sondern erschrak nur und sprang auf, um vor der Flamme zu flüchten, die mich einhüllte. Ich spürte keinen Schmerz, sondern erschrak nur und sprang auf, um vor der Flamme zu flüchten.

In dieser Zeitspanne sah ich mein Leben ablaufen, das ich bis dahin geführt hatte. Auf einmal sah ich mich mit meiner Freundin aus Kindertagen im Garten meiner Eltern stehen, ich sah meine Familie, es war, als ob mein Leben in Schnappschüssen vor mir auftauchte, wie ein Blick ins Fotoalbum.

Das alles hat sicher nur Sekunden gedauert, doch mir erschien es sehr lang. Ich war in Panik und wollte nur weg, wenn ich gekonnt hätte, wäre ich weggelaufen, das war jedoch nicht möglich, da ich mich hoffnungslos im Zelt verheddert hatte. Meine Ärzte haben mir später gesagt, dass es ein großes Glück gewesen ist, dass ich nicht weglaufen konnte, denn viele Menschen, die brennen tun es und dadurch, dass sie sich nicht helfen bzw. löschen lassen, fügen sie sich noch größeren Schaden zu. Nun ja, wie gesagt, ich kam nicht weg, mein Freund packte mich und riss mir das brennende Sweatshirt über den Kopf. Dann war es vorbei, ich spürte immer noch keinen Schmerz. Ich kann mich noch erinnern, dass ich mich in unser Auto setzte, um mich im Rückspiegel zu vergewissern, das in meinem Gesicht noch alles an seinem Platz war. An die Geschehnisse, die danach auf dem Campingplatz passierten und an den Transport in das Krankenhaus kann ich mich nur noch schemenhaft erinnern. Wie mir später erzählt wurde brachte man mich auf Anraten eines Campers in die Duschräume, wo man mich dann fortwährend mit kaltem Wasser abduschte. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich entsetzlich fror, jemand gab mir nach dem Duschen eine Decke. Diese Decke habe ich während des gesamten Transportes nicht mehr losgelassen. Die Sanitäter wollten sie mir aus verständlichen Gründen abnehmen, Infektionen an den offenen Wunden usw., doch ich ließ mich nicht erweichen. Die Decke bot mir den einzigen Schutz, den ich hatte, mein Sweatshirt war ja verbrannt und außer Shorts trug ich keine Kleidung mehr.

Der Notarztwagen brachte mich vom Campingplatz in ein Krankenhaus. Mein Freund, der sich besser als ich an den Transport erinnern kann, schätzt, dass die Fahrt 45 Minuten gedauert hat. Im Krankenhaus angekommen, stellte sich lediglich heraus, dass man die Ausmaße meiner Verbrennungen dort nicht behandeln konnte. Ein Helikopter wurde angefordert, der mich in eine Klinik nach Kopenhagen bringen sollte. Nach ca. 1 Stunde Wartezeit flog man mich aus, nach weiteren ca. 30 Minuten war ich endlich angekommen in der Klinik, in der man mir helfen konnte.

Dieses Krankenhaus war riesig und mir und meinen Freund erschien es irgendwie unwirklich, das Klinikpersonal fuhr auf Rollern durch die Gänge, wohl um die großen Distanzen schneller bewältigen zu können. Mein Freund gestand mir später, dass er mich zu diesem Zeitpunkt am liebsten sofort gepackt und zurück zum Helikopter getragen hätte, die ganze Situation war irgendwie utopisch, als ob man auf einen anderen Planeten gestrandet wäre.

Woran ich mich am intensivsten erinnern kann, ist ein Sanitäter, der mich auf der Trage durch die schier endlosen Gänge schob. Ich kann leider nicht mehr sagen, wie er aussah, doch er sprach die ganze Zeit sehr lieb auf mich ein und streichelte fortwährend meine Haare. In dieser Situation hat mir das sehr geholfen, er gab mir das Gefühl, endlich wieder sicher und gut aufgehoben zu sein. Meine Behandlung begann damit, dass man mich in eine Art Badewanne setzte, um mich abzubrausen, schon während des ganzen Transportes hatte man mich mit Wasser eingesprüht. Mir war so kalt und gleichzeitig fühlte es sich an, als ob mein Körper immer noch in Flammen stand, ein ganz scheußliches Gefühl. Nach der Erstversorgung wurde ich auf die Intensivstation verlegt, und die ersten Stunden per Kamera ständig überwacht. Ich muss einen schrecklichen Anblick geboten haben, doch mein Freund blieb immer, wenn es möglich war, an meiner Seite. Für einen so jungen Mann sicherlich sehr schwer zu verkraften. Doch er stand wie der sogenannte Fels in der Brandung, solange er bei mir im Zimmer war jedenfalls.

Ein paar Tage später berichtete mir eine Krankenschwester, dass er, sobald er das Zimmer verließ, wohl kurz vor einem Zusammenbruch war. Sie legte mir nah, dafür zu sorgen, dass er ein bisschen mehr an sich denken müsste und sie meinte, es wäre gut für ihn, von Zeit zu Zeit einmal das Krankenhaus zu verlassen und sich die normale Welt draußen anzusehen.

Es tat mir leid, das zu hören und ich bestürmte ihn, sich Kopenhagen anzusehen, er könne ja schon Fotos machen und wir könnten sie dann ja später zusammen ansehen.

Gesagt, getan den erhofften Erfolg brachte es jedoch glaube ich nicht, innerhalb von drei oder vier Stunden brachte er es fertig, sich die Stadt anzusehen, Fotos zu machen und sie entwickelt wieder in das Krankenhaus zu mir zu bringen. Es war eine schwere Zeit, doch in solchen Momenten merkt man, wozu die Menschen, die einem lieben, fähig sind. Meine Eltern waren bereits am nächsten Morgen bei mir und blieben bis Sonntag, Meine Schwester setzte alle Hebel in Bewegung, um all die wichtigen/unwichtigen Dinge, die getan werden mussten, zu tun. Obwohl sie mit ihrem ersten Kind schwanger war, fuhren sie und mein Schwager sofort los, um unser Auto nach Deutschland zu überführen und unsere Habseligkeiten auf dem Campingplatz einzusammeln und ich denke auch die Rechnung zu bezahlen. Sie fuhr in den nächsten Ort, um unsere Freunde zu informieren. Um dann, kaum zu Hause angekommen, sofort wieder loszufahren, um mich im Krankenhaus zu besuchen.

Später sagte sie mir, es sei ein wahres Wunder, dass sie bei all dieser Aufregung keine Fehlgeburt erlitten habe und damit hat sie ganz sicher recht. Sie ist halt hart im Nehmen, genauso wie ihre Tochter, die übrigens acht Monate später absolut korrekt im Zeitplan das Licht der Welt erblickte.

Die erste Woche über blieb mein Freund noch bei mir und dann lösten ihn meine Eltern ab, so war ich die ganze Zeit während meines Klinikaufenthaltes nie allein. Die Schwestern und Ärzte waren die ganze Zeit über sehr nett zu uns, obwohl es eine schwere Zeit war, muss ich sagen, dass das Personal des Krankenhauses alles getan hat, um uns zu helfen. Sie sorgten nicht nur für mich, sondern auch für meinen Freund und meine Familie und das ist in Krankenhäusern nicht immer üblich. Meinem Freund wurde während der ganzen Zeit, die er bei mir verbrachte, ein Zimmer und Verpflegung bereitgestellt und das ist sicher nicht selbstverständlich. Meine erste Diagnose hörte sich schlimmer an als sie war, ein Arzt der meinen Vater immer wieder erklärte, dass alles nicht so schlimm wäre und das alles wieder gut verheilen würde, überzeugte ihn nur wenig. Tatsache ist es jedoch, dass Verbrennungen am Anfang immer sehr schlimm aussehen, die Fähigkeiten meiner Ärzte jedoch sorgten dafür, das tatsächlich alles wieder gut wurde.

Ich hatte mir Verbrennungen 2. bis 3. Grades bei 18 -20 % der Körperoberfläche zugezogen, die betroffenen Bereiche befanden sich im Gesicht-/Halsbereich, Oberkörper, Innenseite des rechten Oberarmes, zirkuläre Verbrennung des linken Unterarmes, Dorsalfläche von beiden Händen und Fingern. Nach 14 Tagen im Krankenhaus waren der größte Teil meiner Verbrennungen eingeheilt und nur noch 4 % der Haut musste transplantiert werden. Hierbei möchte ich erwähnen, dass an meinen Oberschenkel, wo die fehlende Haut entnommen wurde, keine Narben zurückblieben. Es gäbe sicherlich noch sehr viel mehr, was ich über meinen Krankenhausaufenthalt berichten könnte, über Schwester Jette zum Beispiel, die sich immer rührend um mich bemühte und die als einige der wenigen Deutsch sprach, so dass ich mich mit ihr unterhalten konnte. Über die netten Schwestern, die mir immer die Briefe von meiner Familie und meinen Freunden brachten und immer mit mir froh waren, wenn ich Post von zu Haus bekam und immer fast genauso aufgeregt und glücklich erschienen, wenn mein Freund, der ja inzwischen schon wieder in Deutschland war, anrief, dann wurde unter großem Getuschel das Telefon in mein Zimmer geschoben. Nach 14 Tagen war ich operiert worden nach weiteren 7 Tagen wurden die Verbände entfernt und am Mittwoch, den 30.7.1986 durfte ich nach fast 4 Wochen, die ich im Krankenhaus verbracht hatte endlich wieder nach Hause.

Die Gefühle, die ich hatte, waren zwiespältig, denn dort war ich sicher, dort sahen viele Menschen wie ich aus und keiner fand etwas dabei. Im Gegenteil dort sah ich im Verhältnis zu einigen anderen sicher schon wieder richtig gut aus. Aber draußen, wieder zu Hause, wie würde man mich aufnehmen? Andererseits, die Gefühle, die mich erfassten, als ich nach so langer Zeit das Krankenhaus verließ und zum ersten Mal wieder draußen an der frischen Luft stand, überwältigten mich. Mich begeisterte alles, den Wind, den ich auf der Haut spürte, die Vögel am Himmel und die Wärme der Sonne.

Meine Eltern fuhren mit mir auf Ihren Campingplatz, wo sie die Wochen über in einem Campingwagen gelebt hatten, um bei mir sein zu können. Beim Anblick der Zelte wurde mir mulmig und erst 10 Jahre später sollte ich es zum ersten Mal wieder wagen, in einem Zelt zu übernachten. Wir fuhren mit der Fähre und danach mit dem Auto Richtung Heimat.

Dass ich wieder nach Hause durfte, das war das Größte für mich, zumal ich in ein paar Tagen Geburtstag hatte, und den hätte ich auf keinen Fall im Krankenhaus verbringen mögen. Ich werde es wohl nie vergessen, wie ich im Auto sitzend die vertrauten Ortsschilder las, die mich nach Hause brachten.

In den folgenden Wochen und Monaten begannen natürlich die endlosen Nachbehandlungen. Mit den Untersuchungsberichten und Vorschlägen für die Weiterbehandlung, die man mir in Kopenhagen gegeben hatte, begab ich mich zu meinem Hausarzt, der mich an eine Klinik in Hamburg überwies, wo man mir die bei Verbrennungen Kompressionsbandagen anpassen sollte. Ich trug die mir verschriebenen Bandagen und besuchte die Kranken- und Schwimmgymnastik. Wieder hatte ich Glück, meine Mutter kaufte zu der Zeit jede Zeitschrift, in der etwas über Verbrennungen zu lesen stand und eines Tages wurde sie fündig, ein Arzt in meiner Nähe. Bei diesem Arzt war ich vom Januar 1987 bis Mai in Behandlung und nur ihm habe ich es zu verdanken, das meine Narben heute für Verbrennungsnarben relativ unauffällig aussehen.

Mein Unfall ist nun mittlerweile 14 Jahre her, meine Narben werden immer noch von Jahr zu Jahr blasser und fallen immer weniger auf, das ist das einzig Gute an Verbrennungen, das es nur besser werden kann. Am Anfang meiner Geschichte standen 3 Wünsche, es ist nur natürlich, das im Verlauf von 14 Jahren die Wünsche eines Menschen ändern. Natürlich bin ich auch heute nicht immer zufrieden mit meinem Aussehen, aber wer ist das schon. Eins ist sicher, nach so einem Erlebnis setzt man für sein Leben andere Prioritäten, zumindest bei mir ist es so gewesen. Mein Blick für das Wesentliche wurde geschärft. Oberflächliche Menschen und selbstgemachte Probleme liegen mir nicht besonders. Vielleicht hat das den Nachteil, dass ich anderen Menschen manchmal nicht kompromissbereit genug erscheine. Vielleicht haben sie Recht, aber ich denke eigentlich nicht, dass es mit Kompromissbereitschaft zu tun hat, eher mit dem Unwillen, sein Leben mit Menschen und Situationen zu beschweren, die einem einfach nicht wichtig genug erscheinen.

Würde mich heute eine gute Fee nach meinen 3 Wünschen befragen, so könnte ich sie ganz klar aufzählen:

Gesundheit für meine Familie und Freunde.
Immer gute Freunde zu haben, die sich die Mühe machen, hinter eine
manchmal lädierte Fassade zu gucken.
Nie zu vergessen, dankbar zu sein, für jeden Tag, den man erlebt.

Als Abschluss möchte ich noch etwas bemerken, was sicher viele Brandverletzte oder Menschen, deren Aussehen nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht, genauso empfinden:

Es ist nicht einfach, von fremden Menschen angestarrt zu werden, es verletzt, es tut weh. Doch gerade dann sollte man stolz seinen Kopf erheben und denken: Sieh mich ruhig an, ich habe es erlebt und überstanden. Hättest Du die gleiche Kraft

Eure Ulrike

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