E-Mail Kontakt mit einer schwerstbrandverletzten Frau

“Liebe Semira,

man muss den Dingen die eigene, stille ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt und durch nichts gedrängt werden kann (Rilke) – leicht gesagt.
Noch ein Jahr nach der Verbrennung deines ganzen Körpers kämpfst du zu begreifen, wie schwer deine Verletzungen sind – nicht nur die äußerlich vernarbten. Die inneren Risse sind noch nicht geschlossen. Wie sehr du leidest an Herz und Seele ist nicht zu deiner Familie durchgedrungen. Sie sehen nur äußerlich sichtbare Heilungserfolge.
Man muss Geduld haben mit dem Ungelösten im Herzen, und versuchen, die Fragen selbst lieb zu haben, wie Bücher, die in einer fremden Sprache geschrieben sind.
Trotz all Deiner Stärke, Deines Selbstbewusstseins und positiver Einstellung ist es ein täglicher Kampf zurück ins Leben. Aber eines ist dir gewiss: Deine Zeit ist noch nicht gekommen! Es gibt Aufgaben und Lernprozesse zu bewältigen. Wie lange hieltest du dein ‚schönes Gesicht’ für selbstverständlich. Augenfarbe und Form sind nun anders als vor dem Unfall. Trotzdem schaust du nicht mehr mit Wehmut zurück. Dankbarkeit für die zweite Chance obsiegt jeden Tag mehr.
Es handelt sich darum, alles zu leben. Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antworten hinein.
„Für mich hat der Tod seinen Schrecken verloren. Es ist nur der körperliche Verlust. Schmerzhaft ist das Loslassen von Vertrautem, Familie, Verantwortung; nicht das allein sein. Denn man ist nicht allein. Es wartet jemand auf der anderen Seite… “ – dein Erleben, liebe Semira wird in der Bibel mit folgenden Worten so beschrieben: ‚Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld‘ (Röm 8,25). Am Ende der Zeit wird unser Hoffen erfüllt werden – das ist meine Hoffnung, mein Vertrauen und mein Glaube für Dich, für mich und für alle Menschen dort draußen – egal welcher Kultur oder Religion, dass es et-was/jemanden gibt, der unseren irdischen Schmerz nicht nur lindert, sondern aufhebt: ‚Gott wird abwischen alle Tränen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein‘ (Apk 21,4).

Herzlichst Christina Urban, Krankenhauspastorin”

Dr. Christina Urban, Pastorin am BG Klinikum Hamburg

Aus datenschutzrechtlichen Gründen ist der Name der Patientin geändert. Dieser Auszug ist zuerst in ähnlicher Weise erschienen in: Frohe Botschaft, 10/13.

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